Historische Putze – Renaissance oder Denkmalpflege?

Traditionelle Handwerkskunst und das Wissen um alte Putzarten und -techniken gehen immer mehr verloren.

Altdeutscher Kellenzug (links) und Stipputz (rechts)

Die Betrachtung heutiger Putzfassaden lässt kaum erahnen, dass die hier zur Anwendung kommenden Gestaltungstechniken immerhin auf eine fast eintausend jährige Geschichte in Mitteleuropa zurück blicken. Im Gegensatz zu den an vielen Baudenkmalen erkennbaren Putztechniken, welche dem interessierten Betrachter zeitliche und regionale Besonderheiten offenbaren, gleichen sich die heutzutage ausgeführten Wärmedämmverbundfassaden fast wie ein Ei dem anderen.

Auch das Überschreiten regionaler oder auch innereuropäischer Grenzen zeigt keine merklichen Unterschiede. Die Entwicklung geht weg von der handwerklich und regional geprägten Ausführung, hin zur Verarbeitung von normierten Industrieprodukten. Beschleunigt wird diese Entwicklung durch Fördermaßnahmen einer Energieeinsparverordnung die keinen Wert auf die Erhaltung untergeordneter und nicht denkmalgeschützter Putzfassaden legt. Diese, offenbar nicht schützenswerten Fassaden, welche über Jahrhunderte unser Stadtbild prägten, fallen nun innerhalb weniger Jahrzehnte dem uniformen Erscheinungsbild der Wärmedämmverbundsysteme mit ihren standardisierten Einheitsputzen zum Opfer.

Seit der Antike bis heute ist Stuck eine wichtige Technik für die Gestaltung von Innenräumen und Fassaden.

Deren Systemzulassung ermöglicht zwar auch die Anwendung von Dickputzen, die eine Gestaltung zulassen, jedoch lässt sich bisher in den meisten Fällen kein Gestaltungswille erkennen. Dabei gäbe es Möglichkeiten, die einen Bezug zu früher angewendeten Putztechniken herstellen könnten und somit eine Fassadengestaltung ermöglichen würden, die diesen Namen verdient. Derartige Gestaltungsansätze an heutigen Fassaden setzen jedoch Kenntnisse über die historische Entwicklung der Putze und deren Ausführungstechniken voraus, die leider immer mehr in Vergessenheit geraten. Dabei offenbaren historische Fassaden eine erstaunliche Vielfalt an Applikationstechniken und Materialien. Besonders um die Jahrhundertwende scheinen sich die Bauausführenden in Ihrer Materialauswahl und -kombination, verbunden mit immer neuen handwerklichen Techniken, geradezu übertroffen zu haben. Da wurde mit Kämmen gezogen, mit Ruten und Besen geschlagen, Nagelbretter eingedrückt oder mit Stempeln gearbeitet. Es wurden Lämmerschwänze und Zöpfe imitiert, organische Oberflächenstrukturen nachempfunden oder Figuren und Zeichnungen aus unterschiedlich gefärbten Putzen herausgeschnitten.

Inwiefern die Steinputze mit ihrer hohen Festigkeit für den Einsatz auf einem weichen Untergrund, wie es ein Dämmsystem darstellt, geeignet sind, sollte im Einzelfall untersucht werden. Auf jeden Fall bietet diese Imitationstechnik, welche auch eine fugenlose „Natursteinoberfläche“ ermöglicht, eine einzigartige Optik. Die Gestaltung der Putzoberflächen lehnte sich an frühere Stilepochen an und war neben den bekannten Stilmerkmalen mitprägend für den Gesamteindruck der Gebäude. Auch haben sich die Putztechniken, von anfangs eher einfachen Applikationstechniken, hin zu handwerklich schwerer ausführbaren Techniken entwickelt. Nachfolgend einige Beispiele für die bekanntesten Putztechniken und ihrer Zuordnung zu den Baustilepochen. Regional lassen sich sicherlich weitere Unterschiede und Besonderheiten ausmachen. Die Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und der Autor ist für jedwede Anregung offen.

Mit dem Bauboom der Gründerzeit konnte der erhöhte Bedarf nach Natursteinoberflächen nicht überall gedeckt werden bzw. war mit hohen Kosten verbunden. Mit dem Einsatz der Zemente gelang es unter anderem, bestimmte Natursteinoberflächen durch Putz zu imitieren. Diese hochfesten Wandputze mit steinmetzmäßiger Bearbeitung bezeichnet man dementsprechend als Steinputze. Die Steinputzoberflächen konnten fast beliebig eingefärbt werden und waren selbst für einen Fachmann nur schwer von einer echten Natursteinoberfläche zu unterscheiden. Die Herstellung dieser Steinputze war schon in der Vergangenheit aufgrund ihrer erhöhten Festigkeit mit Problemen verbunden.

Mit Aufkommen des industriell hergestellten Werktrockenmörtels und dem entsprechenden maschinellen Antrag des Putzes entstanden neue Gestaltungsmöglichkeiten, wobei die regionale Vielfalt und der gestalterische Einfluss des Ausführenden immer mehr zuück ging.

Romanik

Romanische Ritzfuge

Die Romanische Ritzfuge, oder auch Rasa Piedra genannt, ist eine der ersten Gestaltungsformen im Putzbereich. Sie ist mehr ein Fugenverstrich als ein wirklich flächendeckender Putz.

Romanische Ritzfuge

Kellenglattstrich

Kellenglattstrich

Dieser Putz diente im Mittelalter vor allem als Malgrund zur Ausgestaltung von Innenräumen. Die Oberfläche wurde durch das Bügeln mit dem Kellenrücken verdichtet und geglättet. Der Putz hatte eine glatte aber wandfolgende Oberfläche.

Gotik

Gedeckter oder altdeutscher Kellenzug mit freskal aufgesetzten Eckquaderungen

Der stark kiesige Mörtel für diesen Putz wurde wandfolgend verzogen. Die gerüstbedingten Tagwerke des Putzers waren ablesbar. Die dünnlagigen Eckquaderungen wurden freskal auf den Kellenzugputz aufgebügelt. Durch den freskalen Kalkanstrich wurden die Putzoberflächen leicht gebrochen.

Altdeutscher Kellenzug

Stippputz

Stippputz

Durch das Stippen von Ruten oder Reisigbündeln auf die glatt geebnete Grundfläche des Putzes wird die charakteristische Oberfläche des Putzes erzielt. Die Eindrücke können dabei sowohl regelmäßig als auch unregelmäßig erfolgen.

Renaissance

Historischer Glattputz mit Stielbrett oder Leinensack geebnet

Die Oberfläche dieses Putzes ist nicht verrieben, sondern wurde nur geebnet, da das Reibebrett in der heutigen Form noch nicht bekannt war. Die Putzoberfläche verläuft daher auch stark wandfolgend.

Historischer Glattputz mit Stielbrett oder Leinensack geebnet

Spritzputz

Spritzputz

Die Oberfläche dieses Putzes wird durch das aufgespritzte 4 mm Größtkorn geprägt. Dadurch entsteht eine feinstrukturierte Oberfläche. Die Gleichmäßigkeit des Oberputzes wird durch das wandfolgende Abrichten des Unterputzes gebrochen.

Diamanteckquaderung

Die spitz aufeinander zulaufenden Diagonalen, welche an einen Diamanten erinnern, prägen das Erscheinungsbild dieser Quaderung. Auch die Ausführung der Quaderung mit waagerechtem Steg war üblich.

Diamanteckquaderung

Genutete Rustika mit Stempelputz

Genutete Rustika

Rustizierungen und Quaderungen dienten zur Gliederung von Baukörpern. Waagerechte Nutungen wurden meist zur Gliederung von Erdgeschossen verwendet. Die Oberfläche der Rustika kann gerieben oder glatt aber auch mit Strukturputzen ausgeführt sein. Die Nutungen gibt es in den Varianten einfach oder stark profiliert. Diese wurden durch das Einputzen entsprechend profilierter Holzleisten oder/und durch Aushobeln mit einem Profilschlitten hergestellt.

Stempelputz

Der Stempelputz diente zur Ornamentierung von Gliederungselementen und wurde im Bereich von Kassetten oder Quaderungen zur Auflockerung des Gesamtbildes genutzt. Es wurden keine Vollflächen gestaltet.

Besenwurf

Durch das Anspritzen eines feinkiesigen Materials mittels Besen entsteht eine ebene, gleichmäßige und durch das Sandkorn strukturierte Oberfläche. Durch die Sprenkelung kommt es zu einer Auflockerung der Putzoberfläche.

Besenwurf

Barock

Historischer Glattputz mit Holzbrett geschlichtet

Dieser, mit dem heute bekannten Holzbrett durchgeriebene Glattputz, verläuft nur leicht wandfolgend. An der Oberfläche dürfen leichte Kornmitläufer erkennbar sein, da der Mörtel einen kiesigen Oberkornanteil hatte.

Patschokputz

Der Patschokputz ist ein rustikaler, strukturvoller und nasiger, in sich verlaufender Oberputz. Der runde, weiche Putz fügt sich harmonisch in die weichen Formen des Barocks ein.

Kellenwurfputz (oben) und Buckelquaderung (unten)

Kellenwurfputz

Je nach Körnungsart und Körnungsgröße entsteht bei diesem ausschließlich aufgeworfenen Putz eine rustikale, die Oberfläche auflockernde Putzstruktur, welche auch zur Gestaltung größerer Flächen geeignet ist. Man unterscheidet den Einsatz von gebrochenen Splitten mit kantiger Oberfläche und den Einsatz von Flusskiesen mit runder Oberfläche.

Buckelquaderung

Buckelquaderungen zeichnen sich durch ihre ovale und allseitig abgerundete Form aus. Die weiche Form fügt sich harmonisch in die Formensprache des Barocks ein. Die Oberflächen können sowohl glatt aber auch mit Strukturputz versehen sein.

Historismus

Kratzputz

Die typische Struktur des Kratzputzes entsteht durch das Herausbrechen der im Zuschlag enthaltenen Oberkornanteile. Gleichzeitig wird die Sinterhaut des Putzes durch das Kratzen vollständig entfernt und es entsteht, je nach Körnung, eine grobe oder auch feine Oberfläche. Kratzputze neigen zum Absanden, was ihnen jedoch über viele Jahre ein wertiges Erscheinungsbild garantiert.

Kratzputz

Rutenschläger

Rutenschläger

Durch das Schlagen mit dem Ruten- oder Reisigbesen in die noch frische Putzoberfläche entstehen unregelmäßige, ineinander verlaufende, feingliedrige Vertiefungen, welche die Oberfläche auflockern.

Nagelbrettputz

Durch das gleichmäßige Stippen mit dem Nagelbrett entsteht eine regelmäßige, feingliedrige Putzstruktur. Diese wird zur Gliederung oder Betonung von Putzdetails verwendet. Es wurden keine Vollflächen damit gestaltet.

Nagelbrettputz

Steinputz

Steinputz

Die Steinputze kamen mit dem Bauboom der Gründerzeit in Mode und dienten der Imitation von Natursteinoberflächen. Hierzu wurden hochfeste eingefärbte Zementputze hergestellt und nachträglich steinmetzmäßig bearbeitet.

Kammzugputz

Mit Hilfe einer vorgefertigten Schablone wird die gleichmäßige Form des Kammstriches ausgeformt. Die Kammzüge können in Wellen von Hand oder geradlinig exakt auf Schablone geführt werden. Durch die Vertiefungen ergibt sich ein Licht- und Schattenspiel auf der Fassade.

Besenstrichputz

Besenstrichputz

Durch das senkrechte Streichen mittels Reisigbesen entstehen unregelmäßige, ineinander verlaufende, feingliedrige Vertiefungen, welche die Oberfläche auflockern. Die Struktur wirkt der Natur entlehnt und erinnert stark an die organische Struktur einer Baumrinde.

Lämmerschwanz- oder Zopfputz

Der optische Eindruck des Lämmerschwanzputzes entsteht durch die freihändige Führung des Kammstriches, welcher durch die Schuppung zusätzlich aufgelockert wird. Lämmerschwanzputze wurden überwiegend als Putzdetail ausgeführt. Es finden sich jedoch auch komplett gestaltete Fassadensockel in dieser handwerklich anspruchsvollen Technik.

Lämmerschwanzputz

Leierspritzputz

Leierspritzputz

Durch das mehrmalige Ansprit zen des feinkiesige Oberputzmaterials mittels einer Putzleier entsteht eine ebene, durch das Sandkorn strukturierte Oberfläche. Durch den Antrag mittels Putzleier wird eine gleichmäßigere Oberfläche als beim Ansprit zen mit der Kelle oder dem Reisigbesen erzielt. Gleichwohl bleibt eine Sprenkelung erkennbar, die zur Belebung der Oberfläche beiträgt.

Riesel- oder Messelputz

Die typische Struktur dieses Schleppputzes entsteht durch das Aufreißen der Putzstruktur beim Mitschleppen der Zuschlagstoffe. Im Gegensatz zum Erlweinputz zeichnet sich jedoch kein Überkorn in der Putzoberfläche ab. Es entsteht eine ebene, in sich zwar raue dennoch gleichmäßige Oberfläche, die für größere Flächen geeignet ist.

Riesel- oder Messelputz

Kellendruckputz

Durch das freihändige Eindrücken des Kellenrückens in den geebneten Oberputz entsteht eine unregelmäßige Putzoberfläche mit einem interessanten Licht- und Schattenspiel.

Schleppputz – nachträglich geebnet

Die Struktur entsteht durch das Mitschleppen der Überkornanteile im Putz, welche eine grobe Rillung hinterlassen. Um die Rauigkeit der Oberfläche zurückzunehmen, wird der Putz nachträglich im noch weichen Zustand mit dem Reibebrett geschlossen, sodass ein Kontrast zwischen glatter Grundfläche und Grobrillung entsteht.

Moderne

Nesterputz

Durch die Nesterbildung und den Kontrast zwischen rauem tieferliegendem Nest und geebneter glatter Fläche entsteht eine kontrastreiche aufgelockerte Putzoberfläche, die vor allem bei größeren Putzoberflächen zu ihrer Wirkung gelangt.

Nesterputz

Erlweinputz

Erlweinputz

Durch das Mitschleppen, der im Zuschlagstoff enthaltenen gröberen Kornbestandteile, entsteht beim Abrichten der Oberfläche die typische Putzstruktur. Der Putz wurde auf Lehren gezogen und besticht durch seine exakte Geradlinigkeit und Flächigkeit. Im Bereich der Gerüstlagen als auch der Lehren dürfen Übergangsbereiche erkennbar bleiben.

Schleppputzimitation

Die Struktur entsteht durch die Nachahmung der Schlepp- und Erlweinputze. Das Mitschleppen der Zuschlagstoffbestandteile wird durch das gleichmäßige Einarbeiten von rillenartigen Vertiefungen imitiert. Es entsteht eine ebene, aufgelockerte Oberfläche die vor allem für größere Putzoberflächen geeignet ist.

Die verschiedenen historischen Putzapplikationen stellen typische Beispiele für die Vielfalt der Handwerkstechniken einer vergangenen Zeit dar. Es wäre wünschenswert, wenn einige dieser Techniken nicht nur in der Denkmalpflege zur Anwendung kämen und eine Renaissance erleben würden. Wie die Entwicklung der historischen Putze zeigt, wäre es nicht das erste Mal, dass verloren geglaubte Techniken wiederentdeckt werden. Es wäre gut für das Handwerk, gut für das Stadtbild und gut für die Wirkung einer Fassade in der Uniformität der Fertigputze.

Die Moderne bezeichnet die Folgezeit nach der industriellen Revolution mit all ihren gesellschaftlichen Konsequenzen wie Urbanisierung, Arbeiterstand, Massenindustrie, Architektur und Bautechniken.

Über den Autor

Klaus-Gunnar Bauch

Dipl.-Ing. Klaus-Gunnar Bauch ist Sachverständiger für Putze und Restaurator im Maurerhandwerk. Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger fertigt er Voruntersuchungen an Denkmalen an und erstellt Schadens- und Beweissicherungsgutachten.