Mehrgeschossige Holzbauten in der Stadt ragen immer höher in den Himmel. Hybridkonstruktionen und Fertigbauweisen ermöglichen immer mehr Etagen in noch kürzeren Bauzeiten.
BERLIN, PRENZLAUER BERG Christburger Straße 13
Seit der Fertigstellung des Projekts e3 für eine Bauherrengemeinschaft im Mai 2008 in Berlin, dem ersten siebengeschossigen Holzbau im Zentrum einer europäischen Großstadt, hat sich im Bereich des urbanen mehrgeschossigen Holzbaus viel getan: Gebaut werden inzwischen 7-, 8-, 10-, 13- und 14-geschossige Holzkonstruktionen, und geredet wird über bis zu 20-geschossige Gebäude mit einem signifikanten Holzanteil in der Primärkonstruktion. Solche sprichwörtlichen „Leuchttürme“ sind durchaus wichtig für die allgemeine Entwicklung des urbanen Holzbaus. Sie zeigen die mittlerweile vorhandene Leistungsfähigkeit der Tragwerksplaner, Brandschutzingenieure und Holzbaufirmen. Gleichzeitig verweisen sie auf die zukünftigen Entwicklungspotenziale des Werkstoffes Holz, auch in die „Höhe“ der Gebäudeklasse Hochhaus zu planen. Die eigentliche Zukunft liegt jedoch eher in der „Fläche“, in den Gebäudeklassen 4 und 5, also der 4- bis 7-geschossigen Konstruktionen. Aber bei aller Euphorie: Der aktuelle Marktanteil des mehrgeschossigen Holzbaus liegt in Deutschland lediglich bei 2 Prozent!
Dabei gibt es derzeit im Wesentlichen drei unterschiedliche konstruktive Ansätze: der klassische Holzrahmenbau im Rasterabstand von 60 bis 80 cm, die Pfosten-Riegelkonstruktion und in zunehmendem Maße die sogenannte Massivholzkonstruktion. Keine der drei Konstruktionsarten sollte grundsätzlich für besser oder schlechter erachtet werden: Die Wahl der Konstruktion ist immer eine Frage der jeweiligen Bauaufgabe, des Zusammenhanges von Grundstücksgegebenheiten, der Geschosshöhe, des Bauherrenwunsches und des vorhandenen Budgets. Betont werden muss, dass gerade in diesem Kontext der differenzierten Bauaufgaben die innerstädtischen Bebauungen immer auch als Hybridkonstruktionen gedacht werden können. Dafür gibt es sowohl architektonische als auch tragwerks- und brandschutztechnische Gründe. Der signifikante Planungsansatz sollte sein: nicht so viel wie möglich Holz zu verbauen, sondern so viel wie notwendig. Es geht immer um intelligente Holzkonstruktionen, die im besten Fall hybrid mit anderen Baumaterialien gedacht werden können.
BERLIN, PRENZLAUER BERG Christburger Straße 13, Blick zum Hinterhaus; Entwurf: Tom Kaden (Kaden Klingbeil); Bauherr: „Stiftung Bildung.Werte.Leben.“ in Berlin
Unser städtebaulich-architektonisches Verständnis orientiert sich – um mit Julius Posener zu sprechen – an der „Geschichte der neuen Architektur“: Es kommt darauf an zu fragen, „wann die gesellschaftlichen Umstände auch für das Bauen neue Gedanken angeregt haben und in welchen Formen sich solche Gedanken jeweils niederschlagen können“. Die Antwort: In Form „neuer“ Materialien zum Beispiel! Der aktuelle Holzbau ist neben seinen altbekannten Komponenten „nachwachsend“ und „kohlenstoffbindend“ insofern eine neue Form des Bauens, als er mit den traditionellen mehrgeschossigen europäischen, japanischen und chinesischen Holzkonstruktionen (Fachwerk, Stab- und Steckkonstruktionen) nichts mehr zu tun hat. Wir reden heute, sowohl was den Stab und die Stütze (z. B. BSH, KVH, Furnierschichtholz) als auch was die Wand (z. B. Tafel, Massivholz, CLT, Furnierschichtholz) und die Decke (z. B. Brettstapel, CLT, HBV) anbelangt, von industriell gefertigten Halb- oder Fertigprodukten, die auf der Baustelle nur noch montiert werden müssen, aufgrund ihrer ausgeprägten Präfabrikation kurze Bauzeiten ermöglichen und zudem im Vergleich mit den herkömmlichen Materialien Ziegel oder Stahlbeton mindestens 5 Prozent weniger Konstruktionsfläche und insofern mehr Wohn- bzw. Nutzfläche generieren.
Gute „Holzarchitektur“ in der Stadt ist also durchaus als Ausdruck einer gesellschaftlich determinierten Notwendigkeit zu verstehen: Wir reagieren mit architektonisch-ingenieurtechnisch neuen Lösungsansätzen auf den dramatischen klimatischen Imperativ. Alle sind sich einig: Es gibt einen riesigen Veränderungsdruck im Neubaubereich, dem keinesfalls mit immer dickeren Dämmschichten aus geschäumtem Heizöl zu begegnen ist! Wenn wir stattdessen den nachwachsenden Baustoff Holz klug in den Primärkonstruktionen der Wohn- und Gewerbebauten einsetzen, können wir zumindest im Baugewerbe den Anteil der grauen Energie erheblich senken.
Baurechtlich gibt es in Deutschland noch immer keine einheitliche Genehmigungssituation und der Föderalismus treibt absurde Blüten: Während seit neuestem im Bundesland Baden-Württemberg praktisch bis zur Gebäudeklasse 5 auf die üblichen Kapselkriterien, Abweichungen und Kompensationsmaßnahmen verzichtet werden kann, ist es im Land Brandenburg noch immer schwierig, 3-geschossige Holzkonstruktionen in einem brandschutztechnisch sinnvollen und mithin vertretbaren Rahmen zu realisieren. Hier sind nicht nur die unterschiedlichen Landesbauordnungen (LBO) von Belang, sondern auch und womöglich vor allem die unterschiedlich verteilten Kompetenzen in den jeweiligen Genehmigungsbehörden. Was nicht zwangsläufig ausschließlich als Vorwurf an die jeweiligen Bauämter zu verstehen ist, sondern mehr als allgemeines „Bildungsproblem mehrgeschossiger Holzbau“ gelesen werden muss!
Die im Vorderhaus 7-geschossige Massivholzkonstruktion und im Seitenflügel 5-geschossige Holzrahmenkonstruktion sind komplett mit einem strengen Tragwerksraster hinterlegt worden und zeigen trotzdem ein hohes Maß an individueller Gestaltungsvielfalt sowohl in der Straßen- als auch in der Seitenflügelfassade. In diesem als Multifunktionsgebäude geplanten Objekt gleicht kein Grundriss dem anderen. Im EG gibt es ein Café, einen großen Veranstaltungssaal, und eine Kita, im 1. OG einen kleinen Veranstaltungssaal, zwei Büroeinheiten und ein Künstleratelier, im 2. OG eine Kinderarztpraxis, eine logopädische und eine psychologische Praxis, während im 3. OG eine große Studenten-WG zu finden ist. Erst ab dem 4. OG wurden fünf komplett individuelle Wohnungen gebaut.
Meine nunmehr über zehnjährige „urbane Holzbaugeschichte“ zeigt eines deutlich: Der mehrgeschossige Holzbau in Deutschland steht auch im Jahr 2015 erst am Anfang seiner tatsächlichen Wiederkehr in den städtischen Raum. Das allgemeine Interesse am Baustoff Holz entwickelt sich nur relativ verhalten und zögerlich auch in die „Breite“. Neben den privaten, hochindividuellen und vor allem partizipativ orientierten Bauherren der Baugruppen nehmen die Projektanfragen von Wohnungsbaugesellschaften und „klassischen“ privaten Investoren zu. Das bedeutet, das vermeintlich gut bekannte Thema der Präfabrikation weiterzuentwickeln oder auch radikal neu zu überlegen, da davon auszugehen ist, dass die Zukunft für den im positiven Sinne zu betrachtenden „Massenmarkt“ in eben diesem Marktsegment liegt: im klassischen Mietwohnungsbau der Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und privaten Vermietungsunternehmen.
Den gerade in den Großstädten zunehmenden Druck auf den Wohnungsmarkt muss man aus stadtsoziologischer Sicht verurteilen, wenn weiterhin so agiert wird, wie es derzeit Usus ist: Verdrängung der vermeintlich oder auch wirklich Einkommensschwachen aus den zentralen und attraktiven Stadtvierteln! Natürlich ist es naiv zu glauben, dass der urbane Holzbau diese Probleme lösen könnte. Wenn es allerdings gelingt, den Anteil am Verdichtungspotenzial der Städte signifikant mit dem Thema Holzbau zu besetzen, wäre allen geholfen: den öffentlichen und privaten Waldbesitzern im Sinne einer nachhaltigen Forstwirtschaft, den Sägewerken und holzverarbeitenden Betrieben, den kleinen, mittelständischen und großen Zimmereien, den Eigentümern und Nutzern der Gebäude sowie dem Klima. Aber lassen wir uns bitte nicht täuschen vom inflationären Gebrauch der Begrifflichkeit „Nachhaltigkeit“: Produktion und Konsumtion sind immer ressourcenverbrauchend – außer, wenn dem Wald im Sinne von Hans Carl von Carlowitz, dem „Erfinder“ der Nachhaltigkeit, tatsächlich nur so viel Holz entnommen wird, wie nachgepflanzt werden kann!
Sowohl die anfänglich der Partizipation und dem Gemeinschaftsgedanken verpflichtete, am Ende aber leider oft im Partikulargeplänkel endende Baugruppe als auch die Wohnungsbaugesellschaft, die Stiftung oder der private Wohnungswirtschaftler haben eine große Gemeinsamkeit – und diese ist dem präfabrizierten Holzbau sozusagen implementiert: der modulare Grundsatz! Dabei bedeutet Modularität nicht zwangsläufig gestalterische Gleichförmigkeit. Das belegt das Praxisbeispiel aus Berlin, Prenzlauer Berg.
Es steht außer Frage, dass der aktuelle Holzbau in Deutschland ingenieur- und fertigungstechnisch allen anstehenden Bauaufgaben gewachsen ist und dass der konsequente Einsatz des Werkstoffes Holz einen wesentlichen Beitrag zum ressourcenschonenden Bauen liefern kann. Darüber hinaus ist festzustellen, dass noch längst nicht alle Möglichkeiten des Verbundbaustoffes Holz ausgeschöpft sind – im Gegenteil! Der Bildungs- und Forschungsbedarf im Holzbau ist in Deutschland nach wie vor sehr hoch und eine einzige Universität (TU München) mit einem hervorragenden Ausbildungsangebot im Holzbau für Architekten reicht bei Weitem nicht aus, um den Bildungs- und Forschungsstau aufzuheben!
Nicht zufällig muss auch konstatiert werden, dass der deutsche Holzbau im Gegensatz zu unseren Nachbarländern Österreich und Schweiz keine wirtschaftlich starke und mithin politisch prägende Lobby hat. Das wiederum hat zur Konsequenz, dass es im Normungswesen und in der Überarbeitung der LBO (mit der bereits erwähnten Ausnahme Baden-Württemberg) kaum Fortschritte gibt und wir nach wie vor in vielen Projekten außerhalb der jeweiligen LBO mit Ausnahmeregelungen und Kompensationsmaßnahmen arbeiten müssen, was an der ein oder anderen Stelle die Konkurrenzfähigkeit in Frage stellt. Zufall?
Geschäftsführer von Kaden+ Lager, Architekten in Berlin. Autor zahlreicher Veröffentlichungen und Dozent an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Preisträger des renommierten Deutschen Holzbaupreises und des Bauingenieurpreises.