Mikrobieller Befall auf WDVS

Wer trägt die Verantwortung?

Algen und Pilze sind auf kalten Außenwänden nahezu unvermeidbar. Dennoch sehen Gerichte oft den Handwerker oder Architekten in der Verantwortung. Wie können sich Stuckateure und Maler rechtlich schützen? Anwalt Dr. Frederik Neyheusel gibt Antwort.

Nachgefragt: Ist der Stuckateur für mikrobiellen Befall verantwortlich? Anwalt Dr. Frederik Neyheusel schafft Klarheit.

Guten Tag, Herr Dr. Neyheusel. Vielen Dank, dass Sie sich für ein kurzes Interview die Zeit genommen und bereit erklärt haben, rechtliche Fragen zu einem brisanten und komplexen Thema zu beantworten. Wie im Leitartikel bereits ausgeführt, sind Algen und Pilze insbesondere bei hoch wärmegedämmten Fassaden, wie z. B. mit einem Wärmedämm-Verbundsystem selbst bei einer erhöhten bioziden Ausrüstung der Farbbeschichtung in vielen Fällen nicht ganz zu vermeiden. Worin besteht in diesen Fällen die juristische Problematik?

Dr. Neyheusel: Die Problematik liegt darin, dass der Bauherr mit dem Fachunternehmen einen sogenannten Werkvertrag schließt, bei dem der Auftragnehmer eine erfolgreiche Herstellung seiner Leistung und ein dauerhaft funktionsfähiges Werk schuldet. Da der Bauherr keine Algen und keinen Pilz „bestellt“ hat, kommt es zu Streitigkeiten der Beteiligten darüber, ob das Werk trotz dieser optischen Erscheinungen erfolgreich und damit mangelfrei hergestellt wurde. Dabei ist es für den Bauherrn aus seiner Sicht unerheblich, ob eine derartige Algen- und/oder Pilzbildung vermeidbar ist oder nicht.

Wenn mikrobieller Befall durch Algen und/oder Pilze aber technisch nicht sicher vermieden werden kann und auch auf anderen Untergründen auftreten, dann dürfte die Situation doch eigentlich keinen Mangel darstellen? Was sagt die Rechtsprechung denn zu diesem Thema?

Dr. Neyheusel: Die Rechtsprechung entscheidet leider – wie so oft – uneinheitlich. Die bisher ergangenen gerichtlichen Entscheidungen urteilten aber in der Mehrzahl, dass ein Wärmedämm-Verbundsystem, das innerhalb der fünfjährigen Gewährleistungszeit Algen- und/oder Pilzbefall aufweise, aufgrund der Erfolgsverpflichtung im Werkvertrag mangelhaft sei. Diese – wenn auch oft nur optische – Beeinträchtigung sei vom Bauherrn nicht hinzunehmen, der vollständige „Erfolg“ sei nicht eingetreten. Diese Rechtsfolge tritt auch dann ein, wenn der Fachunternehmer bei seiner Ausführung keinerlei Fehler begangen hat und auch die Materialkomponenten des WDVS an sich mangelfrei sind. Der Auftragnehmer wird dann verurteilt, den mikrobiellen Befall zu beseitigen oder, wenn er Nachbesserungsfristen versäumt hat, den finanziellen Schaden des Bauherrn zu bezahlen. Lediglich wenige Gerichte sind anderer Auffassung und haben entschieden, dass das Wärmedämm-Verbundsystem nicht mangelhaft sei, wenn Algen- und/oder Pilzbefall innerhalb der Gewährleistungszeit auftrete. Eine unvermeidbare technische Gegebenheit könne keinen Mangel darstellen, so die Erklärung.

Wie ist Ihre persönliche Auffassung?

Dr. Neyheusel: Ich halte einen unvermeidbar auftretenden Algen- und/oder Pilzbefall nicht für eine mangelhafte Werkleistung, es sei denn, der Verarbeiter hat die Algen- und/oder Pilzfreiheit der Fassade für die Dauer der Gewährleistung ausdrücklich vertraglich vereinbart. Liegt aber eine solche Vereinbarung nicht vor, bemisst sich die Mangelhaftigkeit danach, ob das Werk der sogenannten „üblichen Beschaffenheit“ entspricht. Diese Beschaffenheit wird erreicht, da die Algen- und/oder Pilzbildung technisch eindeutig nicht immer zu vermeiden ist und die technische Funktionalität nicht beeinträchtigt wird. Mit anderen Worten: Der Befall ist üblich und wie die Diskussion nun schon seit ca. 20 Jahren zeigt, kommt es auf wärmegedämmten Fassaden vermehrt zu diesem Problem. Wenn aber etwas nicht vermeidbar und aus meiner Sicht „üblich“ ist, kann dies keinen Mangel darstellen.

Mikrobieller Befall hat seine Ursachen außerhalb der Einhaltung von Regelwerken. Im Gegenteil, die Einhaltung der EnEV sowie der Anspruch nach Energieeinsparung führen aufgrund der Bauphysik fast zwangsläufig zu Algen und Pilzen auf hoch wärmegedämmten Fassaden. Kann es sein, dass die Branche ein Umweltthema zu ihrem Problem gemacht hat? Denn wenn eine Terrasse verschmutzt oder Moos und Unkraut wachsen, kommt auch niemand auf die Idee, den Fliesenleger oder GalaBau-Unternehmer dafür verantwortlich zu machen.

Dr. Neyheusel: Das ist ja gerade das Dilemma. Wir erleben mit dem Befall zumeist eine unvermeidbare Erscheinung, die von den Gerichten aber dennoch in den meisten Fällen als Mangel gesehen wird. Ich halte diese Entscheidungen zwar für falsch, muss sie aber zur Kenntnis nehmen und in der Beratung beachten. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Gerichte früher oder später den technischen Gegebenheiten folgen und einen Mangel ablehnen. So weit sind wir aber leider noch nicht.

Welche Rolle spielt der Architekt, wenn es eine Ausschreibung gibt und der Fachhandwerker „nur“ die Leistungen ausführt, die vom Planer als Erfüllungsgehilfen des Bauherrn gefordert werden?

Dr. Neyheusel: In diesem Fall steht der Architekt ebenfalls in der Verantwortung gegenüber dem Bauherrn. Ein möglicher Schaden wird dann zwischen den Beteiligten aufgeteilt. Meines Erachtens trägt der Architekt in der Regel den überwiegenden Anteil, weil er das Objekt kannte, selbst auf den möglichen Algen- und Pilzbefall hätte aufmerksam machen können oder sogar müssen und das WDVS dennoch ausschrieb.

Da der Stuckateur oder Maler als Fachmann die Besonderheiten der Problematik durch Algen und Pilze an der Fassade kennt, muss er den Bauherrn darüber dann nicht wenigstens aufklären? Was empfehlen Sie einem Fachunternehmer, der mit einer derartigen Aufgabenstellung auf Sie zukommt?

Dr. Neyheusel: Aus rechtlicher Sicht besteht in jedem Falle eine Aufklärungspflicht des Fachhandwerkers. Er hat aufgrund seines Fachwissens den Bauherrn – insbesondere, wenn es sich um einen privaten Auftraggeber handelt – darüber zu informieren, dass ein Algen- und/oder Pilzbefall auch während der fünfjährigen Gewährleistungszeit nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, und zwar unabhängig von der bioziden Einstellung des Materials. Diese Aufklärungspflicht wird in der Rechtsprechung insbesondere für Umstände angenommen, die der Bauherr nicht kennt, deren Kenntnis aber für seine Entscheidungsfindung (z. B. bei der Entscheidung für oder gegen ein WDVS) von Bedeutung sind. Eine solche Aufklärung ist aus meiner Sicht auch ein Qualitätsmerkmal des Fachhandwerkers, der damit zu verstehen gibt, dass er sich zum einen mit den Problematiken auskennt und sich zum anderen auch um die Belange des Bauherrn bemüht. Man muss aber eindeutig feststellen, dass selbst bei einer perfekten Aufklärung ein Risiko für den Fachunternehmer besteht, weil die Rechtsprechung derzeit in der überwiegenden Zahl der entschiedenen Fälle von einem Mangel der Fassade bei einem Befall ausgeht, und zwar unabhängig davon, ob eine Aufklärung erfolgt ist oder nicht. Dennoch stellt eine richtige und gut dokumentierte Aufklärung des Bauherrn über die Möglichkeit eines Algen- und/oder Pilzbefalls den besten Schutz gegen Mängelrechte dar.

Gibt es denn aus Ihrer Sicht irgendeine Möglichkeit, Mängelansprüche abzuwehren, indem der Fachunternehmer in seiner Beratung besondere Formulierungen verwendet oder den Bauherrn so umfänglich aufklärt, dass sich dieser in vollem Bewusstsein für eine Fassadendämmung entscheidet, getreu dem Motto, dass der Käufer eines Sportwagens auch nicht im Nachhinein kommen und sich über den höheren Benzinverbrauch beschweren kann?

Dr. Neyheusel: Der größtmögliche Schutz vor einer Inanspruchnahme besteht in der Tat in einem möglichst klaren, verständlichen und vor der Ausführung erteilten Hinweis für den Bauherrn. Ein solcher könnte z. B. wie folgt lauten: „Liebe Bauherrn, Sie planen an Ihrem Objekt das Anbringen einer WDVS-Fassade. Leider ist es aufgrund der Lage Ihres Hauses [Beschreibung] und der zur Verfügung stehenden Materialien nicht möglich sicherzustellen, dass nicht innerhalb der nächsten zwei bis fünf Jahre ein Algen- und/oder Pilzbefall an Teilen der Fassade auftreten kann. Ein solcher Befall hat in der Regel keine technischen Auswirkungen, sondern erfordert zumeist lediglich eine zusätzliche Wartungsleistung, nämlich das Entfernen des Befalls und […]. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir eine Haftung ablehnen, wenn ein solcher Befall aufgrund der geschilderten Umstände auftritt.“ Ideal wäre es natürlich, wenn der Bauherr diesen Hinweis mit „Einverstanden“ unterschreibt.

Herr Dr. Neyheusel, vielen Dank für das interessante Gespräch.

BEDENKENANMELDUNG GEGEN ALGEN UND PILZE

Mit diesem Formular weist der Stuckateur vor Beginn seiner Arbeit darauf hin, dass es auch bei sachgemäßer Ausführung zur Bildung von Algen & Pilzen kommen kann.

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Interview

Dr. Neyheusel, Rechtsanwalt und Senior-Partner der Kanzlei SGP Rechtsanwälte, Ulm, ist seit 15 Jahren im Bau- und Architektenrecht tätig, Autor zahlreicher Veröffentlichungen, Dozent an der Hochschule Neu-Ulm und Vorsitzender des Vereins „Bauen mit Spaß“ e. V. Er hält bundesweit Vorträge zu aktuellen baurechtlichen Themen.